DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR PSYCHOLOGISCHE SCHMERZTHERAPIE UND -FORSCHUNG E.V.

WAS IST EIGENTLICH SCHMERZ

Schmerzen sind dem Menschen ebenso geläufig wie Hunger oder Durst, Hitze oder Kälte. So wie Riechen, Schmecken, Hören und Sehen ist die Empfindung von Schmerz ein Bestandteil unseres Sinnensystems, mit dem wir unsere Umwelt und uns selbst wahrnehmen. So überschrieb der Künstler Joseph Beuys seinen Beitrag auf einer Ausstellung in Berlin (2007) zum Thema „Schmerz“ mit der These, dass es ohne Schmerz kein Bewusstsein gäbe.

Entwicklungsgeschichtlich gehört der Schmerz zu den frühesten, häufigsten und eindrücklichsten Erfahrungen eines jeden Individuums.
Schmerz ist, trotz all dem Leid, das er bewirken kann, überlebenswichtig. Er ist, aus körperlicher Sicht gesehen, eine lebenserhaltende biologische Reaktion auf schädigenden Einwirkungen, auch dann, wenn es noch nicht zu einer Schädigung gekommen ist. Alle höher entwickelten Lebensformen, insbesondere die Wirbeltiere, verfügen über dieses Frühwarnsystem. 

Dieses Frühwarnsystem hat sich im Laufe der Entwicklung des Lebens so verfeinert, dass alle höheren Lebewesen auch die Fähigkeit haben, die Schmerzen vorübergehend auszuschalten oder zu dämpfen. Hirnregionen und Nervenzellen tauschen Botenstoffe aus und hemmen sich gegenseitig – zuweilen so stark, dass ein Mensch nichts von der Wunde merkt, die längst an seinem Arm klafft. In einer Not- oder Fluchtsituation kann dies unter Umständen lebensrettend sein. Fasziniert sind wir von Fakiren, die durch jahrelanges Training vorübergehende Schmerzfreiheit trotz selbst zugefügter Verletzungen erlernt haben und damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Bei Zahnschmerzen suchen aber auch diese „Schmerzkünstler“ recht schnell einen Zahnarzt auf.

Der Schmerz ist aufgrund seiner Funktion als Schadensmelder oder -warner regelhaft mit negativen Gefühlen verbunden, damit wir ihn ausreichend beachten und möglichst schnell lernen, wann es für uns gefährlich wird. Wie intensiv wir einen Schmerzreiz empfinden, ob er uns in Angst und Panik versetzt, hängt nicht nur vom reinen Nervensignal ab, sondern ist ein Zusammenspiel von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren, zu denen auch unsere familiären und kulturellen Erfahrungen im Umgang mit Schmerz zählen. Deshalb sprechen die Experten auch von dem „bio-psycho-sozialen Schmerz“, den jeder Mensch anders empfindet. Diese Zusammenhänge lassen verstehen, warum es im Gehirn auch nicht das eine Schmerzzentrum geben kann, das für unseren Schmerz verantwortlich ist.  Tatsächlich sind mehrere „Sachbearbeiter“ (= Bereiche im Gehirn) für die Schmerzentstehung verantwortlich.

Dauernde Schmerzfreiheit kennen wir nur bei Menschen mit angeborenen oder durch Krankheiten verursachte Nervenschädigungen, die keine Schmerzempfindungen mehr besitzen. Die Betroffenen brechen sich häufig die Knochen oder erleiden Verbrennungen, weil das Warnsystem Schmerz fehlt. Sie bemerken selbst die bedrohlichsten Verletzungsgefahren nicht oder zu spät. Diese „schmerzlosen“ Menschen erreichen meist kein hohes Alter.

Autor: Hans-Günter Nobis