DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR PSYCHOLOGISCHE SCHMERZTHERAPIE UND -FORSCHUNG E.V.

SCHMERZ UND SCHLAF

Etwa 80 Prozent der Patienten mit chronischen Schmerzen haben einen gestörten Schlaf und sollten daher mehr über den Schlaf wissen. Schlaf ist ein biologisches Grundbedürfnis wie Hunger oder Durst. Erholsamer Schlaf ist daher eine der wichtigsten Voraussetzungen für körperliche, geistige und seelische Gesundheit. Kein Wunder also, dass der Mensch etwa ein Drittel seines Lebens schlafend verbringt. Bei Schlafproblemen erscheint der Griff zur Schlaftablette oft als einzige Lösung, aber nicht selten verkehrt es sich ins Gegenteil und der Schlafsuchende gerät in einen Teufelskreis.

Der Himmel hat den Menschen als Gegengewicht zu den vielen Mühseligkeiten des Lebens drei Dinge gegeben: die Hoffnung, den Schlaf und das Lachen.
Immanuel Kant (1724 -1804)

Schlafphasen
Das Einschlafen erfolgt über mehrere Stufen der „Versenkung“. Bei einer dieser Stufen kann es passieren, dass wir erleben, wie unser Körper einen Traumgedanken so „mit-lebt“, dass wir von der Muskelbewegung wieder erwachen. Auch kann es bei stärkeren äußeren oder inneren Reizen zu reflektorischen Muskel-Zuckungen oder Nervenentladungen kommen, besonders nach einem stressigen Tag oder nach einer „gespannten“ Abendgestaltung (belastende Filme, Streit, usw.).
Wenn sich das Gehirn mehr und mehr von den Außenreizen distanziert, folgen im stetigen Wechsel „Tiefschlaf“ und „leichte“ Schlafphasen. Die Länge und Häufigkeit der jeweiligen Phasen ist altersabhängig. So nimmt der Anteil des Tiefschlafes im Alter ab.

Abb. aus: H.-G. Nobis et al. (Hrsg.), Schmerz – eine Herausforderung, 3. Aufl., Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020

Die Erforschung des Tiefschlafes bestätigte, dass sich in diesen Phasen besonders der Körper erholt, sich stärkt, sich gegen Krankheiten wehrt und z.B. Kinder mit „Wachstumsimpulsen“ versorgt. Tiefschlafmangel führt zu einer allgemeinen körperlichen Schwächung – auch des Immunsystems. Gerade diese Tatsache macht den Schlaf so bedeutend für unsere Gesundheit.

Menschen in Schichtarbeit leiden oft unter dem „Schichtarbeitersyndrom“ in Folge von Schlafstörungen: Verdauungsprobleme, Magengeschwüre, Konzentrationsschwäche, Anfälligkeit gegenüber Entzündungen, massive Stimmungsschwankungen bis hin zur Depression.

Wir haben also jede Nacht einen natürlichen Wechsel von tiefen und leichten Schlafphasen. Die Leichtschlafphase, in der wir z. B. durch Geräusche, Schmerzen oder Kälte leichter aufwachen können, hat zu Unrecht einen schlechten Ruf. Sie repräsentiert u.a. auch die Phase, in der wir hauptsächlich träumen. Sie wird auch Traumphase oder REM-Phase genannt. „REM-Phase“ steht für  „Rapid-Eye-Movement“ und beschreibt die schnellen Augenbewegungen während des Träumens. Der Mensch träumt mehrmals im Schlaf, kann sich aber nur an Träume erinnern, aus denen er erwacht.

Träume können einerseits „bildreiche“ Reaktionen auf Nervenreize z.B. durch einen zu niedrigen Blutdruck oder vollen Magen sein; andererseits können sie aber auch ein „Spiegel der Seele“ sein, in dem sich z.B. tiefste Wünsche oder Ängste unserer aktuellen Lebenssituation widerspiegeln. Dieser wertvolle „Tiefentraum“ hat eine geistig „reinigende“, verarbeitende und psychisch stabilisierende Wirkung, auch im Hinblick auf „belastende“ Lebenssituationen („eine Nacht drüber schlafen“). Der REM-Schlaf ist also wichtig für Denken, Konzentration, Lernen und seelische Ausgeglichenheit.

Schlafstörungen
Betroffene berichten über verschiedene Formen von Schlafstörungen: Sie können nicht einschlafen, wachen mehrfach auf („zerhackter Schlaf“) oder werden schon in den frühen Morgenstunden wach, obwohl sie noch länger hätten schlafen wollen.
Die Ursachen können die unterschiedlichsten Gründe haben. Neben Umweltfaktoren wie beispielsweise Lärm, Helligkeit, Zimmertemperatur, Matratzenqualität, hoher Alkoholgenuss  können auch körperliche Krankheiten eine Rolle spielen u.a. Schmerzen, Schilddrüsen-Überfunktion, Schlafapnoe, Restless-Legs-Syndrom oder Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems.
Außerdem haben unsere Ernährungsgewohnheiten einen weitaus größeren Einfluss auf die Schlaffähigkeit, als wir ahnen. Der Körper reagiert sensibel auf die Unterversorgung mit wichtigen Vitaminen und Mineralstoffen. So kann z.B. ein Mangel an Vitamine B6, B12, Folsäure, Eisenmangel, Vitamin D und Magnesium Schlafstörungen begünstigen.

Experten sagen allerdings, dass bis zu 90 % aller Schlafprobleme „psychisch“ bedingt sind. Schon alltägliche Sorgen, aber auch Begeisterung können uns derart innerlich „aufwühlen“, dass sich vorübergehend das Einschlafen verzögert.
Zunächst ist wichtig zu wissen, dass im Alter der Schlaf mehr Leichtschlaf- als Tiefschlafphasen hat, die im Laufe des Älterwerdens sogar noch weiter zunehmen. Kürzere Schlafunterbrechungen sind also normal. Dadurch entsteht aber leicht der Eindruck, „man habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht“. Im Schlaflabor aber zeigte sich, dass es überwiegend lebensnahe Träume waren und damit REM-Schlaf.

Oft unterschätzte Ursachen für langanhaltende Schlafstörungen sind Trauer, Depression, Wut und Ängste, die dem Betroffenen in ihrem Ausmaß so nicht bewusst sein müssen.

Beispiel für „versteckte“ Trauer:
Eine Frau, Mutter von zwei erwachsenen Kindern, meldete sich mit Durchschlafstörungen, die genau seit einem halben Jahr bestanden. Ärztliche Untersuchungen ergaben keine körperlichen Auffälligkeiten. So wurde sie jeweils am Ende der Untersuchungen von den Ärzten befragt, ob sie Stress, Probleme oder Sorgen hätte. Immer wieder bestätigte sie, dass sie eine glückliche Ehefrau, geschätzte Kollegin und stolze Mutter sei. Dann aber stellte sich heraus, dass beide Kinder ein halbes Jahr zuvor den Haushalt verlassen hatten, um zu studieren. Diesen „Abschied“ und das daraus resultierende Gefühl der Trauer („bin wie in ein Loch gefallen“) hatte die Frau noch nicht verarbeitet.

Beispiel für „versteckte“ Angst:
Eine Frau vernahm im Halbschlaf ein eigenartiges „Knistern“ und dachte zunächst an Sturm, der die  Bäume vor dem Fenster schüttelt. In Sorge um die neuen Terrassen-Schirme wurde sie richtig wach. Sie sah dann aus dem Fenster einen naheliegenden Bauernhof brennen. In der Folgezeit stellten sich bei ihr, besonders bei stürmischem Wetter, Durchschlafstörungen ein. Die Fragen der Ärzte nach persönlichen Sorgen und Stress verneinte sie und auch körperliche Ursachen wurden nicht gefunden. Was war passiert?  Ihr Unterbewusstsein hatte sich das „Knistern“ als „gefährliches“ Geräusch eingeprägt. Immer dann, wenn die Bäume vor dem Fenster in stürmischer Nacht „knisterten“, wurde ihr Schlaf infolge ihrer „versteckten Angst“ unruhiger und sie wurde ohne Erklärung wach.

Unterschätzte  „Schlafapnoe“
Bei der „obstruktiven Schlafapnoe“ handelt es sich um Atemaussetzer während des Schlafes, die von einem wiederkehrenden Verschluss der oberen Atemwege durch eine kollabierende Schlundmuskulatur hervorgerufen werden. Die damit einhergehende wiederholte Minderbelüftung der Lunge führt zum Absinken des Sauerstoffgehalts und zum Ansteigen des Kohlendioxid im Blut. Es werden im Nervensystem Alarmreaktionen ausgelöst. Diese Aktivierungsreaktionen unterbrechen kurz den natürlichen Schlafablauf und es kommt zu Anstiegen von Puls, Blutdruck und Muskeltonus. Experten sprechen auch von „Schlaf-Fragmentierung“. Die obstruktive Schlafapnoe ist gekennzeichnet durch eine extreme Tagesmüdigkeit (Hypersomnie), durch lautes und unregelmäßiges Schnarchen und durch wiederkehrende Atemstillstände (Apnoen) im Schlaf.

Schlafmittel
Der Griff zur Schlaftablette erscheint oft als einzige Lösung, um wieder ruhig schlafen zu können. Wichtig zu wissen ist, dass synthetische Schlafmittel massiv in das Schlafgeschehen eingreifen. Sie verkürzen nicht nur den Tiefschlaf, sondern auch die REM-Phasen, sodass sich die Qualität der körperlichen, seelischen und geistigen Erholung verringert. Der Name Schlafmittel ist eigentlich eine Fehlbezeichnung. Bisher ist kein Medikament bekannt, welches natürlichen Schlaf bewirkt. Ältere Menschen haben einen langsameren Stoffwechsel. Deshalb wirken einige Mittel länger als gewünscht. Weil auch Schlafmittel das Reaktionsvermögen und die Muskelkontrolle verringern steigt damit die Sturzgefahr z.B. beim nächtlichen Toilettengang - der „berühmte“ Oberschenkelhalsbruch. Schlafmittel – auch die Rezept-freien - sollten daher nur zur kurzfristigen Anwendung kommen = max. 2 Wochen.

Plötzliches Absetzen von synthetisch hergestellten Schlafmitteln kann zu Schlafstörungen führen und damit einen Teufelskreis auslösen.

Klassische Schlafmittel aus der Gruppe der sogenannten Benzodiazepine haben erhebliche Nachteile. Sie können zwar kurzfristig den Schlaf durch ihre beruhigende, Muskel entspannende und Angst lösende Wirkung verbessern. Ihre Wirkung lässt jedoch häufig nach Wochen nach, sodass die Dosis erhöht werden muss, was langfristig zu einer Medikamentengewöhnung oder gar zur Abhängigkeit führen kann. Diese Medikamentengruppe ist zur Behandlung schmerzbedingter Schlafstörungen nicht geeignet. Übrigens, wenn Menschen nach längerer Einnahme das Schlafmittel absetzen, kann es die ersten Nächte zu vermehrten Schlafunterbrechungen mit Alpträumen kommen. Es handelt sich dabei um Entzugserscheinungen nach medikamentenbedingter Reduzierung der REM-Phasen. Mancher Schlafgestörte glaubt dann, er würde mit dem Schlafmittel besser schlafen und gerät nur tiefer in den Teufelskreis der Abhängigkeit. Der Schlafmittelentzug sollte immer mit Hilfe eines Arztes erfolgen. Die Entzugssymptome können mit z.B. pflanzlichen Heilmitteln abgemildert werden. Bewährt haben sich Baldrianwurzel, Passionsblume, Hopfenzapfen, Lavendelblüten und Melisse. Sie besitzen eine beruhigende und schlafanstoßende Wirkung und können daher vor allem bei leichteren, nervös bedingten Einschlafstörungen helfen. Dabei sind behördlich zugelassene Extrakte in Tinkturen oder Kapseln wirksamer als selbstgekochte Tees.

Wie Schmerzen auf Schlaf wirken
Schmerzen stören den Schlaf und schlechter Schlaf verstärkt den Schmerz. Wie oben beschrieben, führt Tiefschlafmangel nicht nur zu einer allgemeinen körperlichen Schwächung, sondern auch zu einer Erniedrigung der Schmerzschwelle, anders ausgedrückt, es kommt zu einer Erhöhung der „Schmerzempfindlichkeit“. Ein Beispiel: Versuchspersonen, die man daran hinderte, in den Tiefschlaf zu sinken, wurden empfindlicher für Muskel-Skelett-Schmerzen und klagen häufiger über Gelenkschmerzen und -steife. Das liegt u.a. daran, dass entzündlichen Botenstoffe mit dem Blutstrom wegtransportiert werden, was Nachts, also in Ruhe, eingeschränkt ist. In vielen Fällen stecken z.B. hinter Rückenschmerzen beim Schlafen Muskelverspannungen, warum vor dem Schlafengehen Entspannungsübungen oder warme Bäder und am Morgen Dehnungen und Bewegung helfen.

Menschen, die in der Nacht vor einem Eingriff schlecht schliefen, litten nach der Operation verstärkt unter Schmerzen.

Schlechter Schlaf ist häufig verantwortlich für Kopfschmerzen am Morgen oder ein Auslöser für Migräne-Anfälle. Der Mensch dreht sich während der Nacht mehr als 30-mal, was fast ausnahmslos in den flachen Schlafphasen passiert. Diese häufigen Positionswechsel sind normal, können aber bei bewegungsbedingten Schmerzen zum Aufwachen führen, was in Leichtschlafphasen zu einem Mangel an REM-Schlaf und damit zu psychischer Unausgeglichenheit führen kann. Nächtliches Wachliegen sorgt darüber hinaus für eine verstärkte Schmerzwahrnehmung. Es ist deshalb wichtig, so die Schmerzmedizin, Schmerzmittel vor dem Schlaf ausreichend zu dosieren.

Schmerzmittel und Schlaf
Auch Wirkstoffe von Schmerzmitteln können die Schlafphasen negativ beeinflussen. Opioide beeinträchtigen den Tief- und REM-Schlaf – also genau jene Schlafstadien, die für unsere Erholung so wichtig sind. Benötigen Schmerzpatienten langfristig Opioide, kann es zu schlafbezogenen Atmungsstörungen kommen. Gefährdet sind vor allem Menschen, die aufgrund von Lungenkrankheiten oder einem Schlafapnoe-Syndrom ohnehin schlecht schlafen. Hier kann eine Maskenbeatmung helfen. Am Abend genommene Schmerzmittel mit Koffein können mit ihrer aufputschenden Wirkung das Einschlafen erschweren. Acetylsalicylsäure (ASS) kann Sodbrennen verursachen und den Schlaf beeinträchtigen. Daher ist es sinnvoll, den Schmerz durch geeignete Schmerzmedikamente so zu reduzieren, dass der Schlaf in seiner Struktur und Funktion nicht beeinträchtigt wird.

Was ist gut für den Schlaf?
Eine wirksame Behandlung der Schlafstörungen verbessert die allgemeine Befindlichkeit von Schmerzpatienten. Folgende Hinweise können bei leichten Schlafstörungen helfen, wieder ein gesundes Schlaferleben zu entwickeln:

Schlafrhythmus: Der Schlaf liebt die Gewohnheit, deshalb sollte ein regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus auch am Wochenende beibehalten werden. Das ist besonders für Migräne-Patienten wichtig.
Nachtschicht: Gut wäre es, direkt nach der Arbeit 4 bis 5 Stunden zu schlafen und dann noch einmal 2 bis 3 Stunden am Nachmittag. Für die sogenannten „Eulen“, die eher am Abend aktiv sind, eignen sich Spät- und Nachtschicht besser.
Raumtemperatur: Als förderlich gilt eine Schlafzimmertemperatur zwischen 16 und 18 Grad; also kein offenes Fenster über Nacht in der kalten Jahreszeit. Zweimaliges Lüften reicht.
Bett: Ideal für einen Schlaf mit dem Partner ist ein ausreichend großes Bett (mindestens 1,80m x 2m) mit zwei getrennten und individuellen abgestimmten Matratzen und Zudecken.
Handy und Laptop: Diese Geräte strahlen blaues Licht ab, das der Mittagssonne entspricht. Solche Lichtanteile verhindern die Bildung des Schlafhormons. Die Geräte sollten deshalb am Abend immer mit einer zusätzlichen Lichtquelle im Raum angeschaut und im Nachtmodus genutzt werden.
Mittagsschlaf: Der Mittagsschlaf sollte nicht länger als 30 Minuten und nicht nach 15 Uhr sein, ansonsten verringert sich der Schlafdruck am Abend.
Bewegung: Bewegungsaktive Menschen am Tag schlafen nachts besser, aber körperliche Überanstrengung nach 18 Uhr sollte vermieden werden.
Nächtliches Erwachen: Kein helles Licht einschalten, denn helles Licht wirkt als "Wachmacher". Hier hilft eine Taschenlampe, um zur Toilette zu gehen und der Partner wird nicht geweckt.

Weitergehende Informationen sind über die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) erhältlich (www.dgsm.de/patienteninformationen_ratgeber.php ).

Fazit:
Je schlechter Schmerzpatienten schlafen, umso stärker empfinden sie ihr Leiden. Begleitsymptome wie Depressionen und Ängste äußern sich stärker. Die Folgen dieser Schlafstörungen führen schnell zu einer erheblichen Tagesschläfrigkeit mit Stimmungsschwankungen und damit zu Spannungen in Familie und Beruf und erheblichen Beeinträchtigung im Leistungsvermögen.

Paul Dubois (1905):
„Der Schlaf ist wie eine Taube: Streckt man die Hand ruhig aus, setzt sie sich drauf, greift man nach ihr, fliegt sie fort.“

Die eigene entspannte Einstellung zum Schlaf ist und bleibt die beste Voraussetzung, wirklich schlafen zu können. Im Zeitalter der „Perfektion“ müssen wir akzeptieren lernen, dass auch unser Schlaf natürlichen Schwankungen unterliegt. Schmerzpatienten sollten Schlafstörungen daher in jedem Fall sehr ernst nehmen und bei anhaltenden Schlafproblemen den behandelnden Arzt oder einen Psychotherapeuten aufsuchen, letzteren besonders dann, wenn Kummer, Sorgen und Nöte als Ursachen vermutet werden.

Autor: Hans Günter Nobis